Achgut.com
Wochen-Newsletter
24.
Juni 2022
Liebe Leserin, lieber Leser!
Viele Deutsche werden wohl im Winter frieren müssen, sich auf
Entbehrungen einstellen. Und alle sollen mitmachen beim „Sparen“,
verfügt der Wirtschaftsminister. Schon wieder ein Notfallplan: Als
Vorgeschmack läutet Robert Habeck die zweite von drei Stufen ein, bei
der Kunden über eine Preiserhöhung ihres Gas-Versorgers lediglich
eine Woche vorher informiert werden müssen. Also gibt es de facto
keine vertragliche Preisgarantie mehr, die Aufhebung erfolgt quasi
von Amts wegen. Die zweit-unangenehmste Seite der Inflation zeigt
sich nun bereits vor der Winterkälte: Verträge sind Makulatur, die
Preise sind vogelfrei, die Endverbraucher ausgeliefert. Eine zuvor
noch bezahlbare, angenehme Betriebstemperatur kann im Handumdrehen
zum Luxus oder finanziellen Fiasko werden.
Sämtliche Gaspreise dürfen von den Versorgungsunternehmen nun
beliebig auf ein „angemessenes Niveau“ angehoben werden. Aber nach
oben gibt es keine Deckelung. Was „angemessen“ ist, entscheiden nicht
die Kunden, sondern die Gasversorger. So warnt ein Energieexperte der
Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), die Privathaushalte wären
auch vor extremen Gaspreisen nicht geschützt. Das ist ein Alptraum
für Menschen ohne finanziellen Puffer.
Es sieht ganz danach aus, als wüssten die Experten aus dem
Wirtschaftsministerium schon heute, was Russland in ein paar Wochen
liefertechnisch plant. Zumindest drängt sich diese Vermutung auf,
wenn der Wirtschaftsminister die drastischen Markt-Interventionen der
zweiten Stufe des Notfallplans auf die Verbraucher loslässt. Russland
hat Gas, Geld und Geduld. Im Winter wird Geduld in Deutschland
hingegen ein knappes Gut werden, wenn sich das Innenraumklima der
Außentemperatur annähert und der Atem als Eisblumen an der Vitrine
der Wohnzimmerschrankwand niederschlägt.
Deutschland ist
besonders verwundbar
Deutschen Verbrauchern wird bald der russische Gas-Hahn zugedreht –
andere europäische Staaten, wie die Niederlande oder Frankreich, hat
es schon erwischt. Allerdings sind diese Länder weit nicht so
abhängig vom russischen Gas wie Deutschland. Das ist die Ambivalenz
der europäischen Russland-Sanktionen, sie kommen nun als
schmerzhaftes Echo bei uns an. Die Endverbraucher und gasabhängigen
Produktionsbetriebe müssen ausbaden, was kurzsichtige Politiker in
Brüssel und Berlin verzapft haben.
Deutschland ist besonders verwundbar. Die Schwächung der
Versorgungsstrukturen ist ein lang betriebenes Lieblingskind
deutscher Realpolitik. So wurden mit weltanschaulicher Besserwisserei
und nahezu krimineller Aufgeblasenheit jahrzehntelang Angelegenheiten
wie die „Energiewende“ oder „Nachhaltigkeit“, die Abschaltung
„gefährlicher Atomkraft“, die Hinwendung zu „erneuerbarer Energie“,
oder das Projekt „Nord Stream 2“ und die Konzentration auf „billiges“
russisches Gas als zivilisatorische Errungenschaften und
Zukunftsprojekte postuliert. Nun offenbart sich vieles als
Halluzination und Scharlatanerie, als unprofessionelle und
ideologisch überfrachtete Symbolpolitik zum Schaden der Verbraucher
und Steuerzahler.
Die Bürger müssen also wieder einmal die normative Kraft des
Faktischen akzeptieren, als sei sie eine Naturgewalt. Und erneut
müssen sie auch den Staat und seine Vertreter walten lassen, obgleich
das Vertrauen in die Management-Fähigkeiten des Personals verspielt
ist. Die fette Quittung für die miserable Energiepolitik der
Merkel-Ära kommt nun schneller als gedacht. Sicher ist schon heute:
Alle Abgeordneten des Bundestages können sich mit ihren Diäten auch
extreme Energiepreise leisten, sie können den Fahrdienst des
Bundestages nutzen und ihre Fehlentscheidungen fallen unter die
Kategorie „Indemnität“. Auf deutsch: Der politische Bockmist bleibt
beim Bürger liegen, der Abgeordnete haftet dafür nicht.
Auto-aggressive
Abkehr von der Wertschöpfung
Die energetische Zeitenwende, die einst als „Energiewende“ positiv
aufgeladen werden sollte, ist zum historischen Debakel mutiert, ein
Rohrkrepierer aus politischen Phantasmen, für die man bereit war,
jeden Wohlstands-Ast, auf dem man saß, abzusägen. Tief werden die
Deutschen fallen und nicht so einfach wieder hochklettern können.
Denn die Äste, an denen wir uns festhalten könnten, sind bald
abgesägt. Deutschland, ein kahler Stamm von imposanter Höhe, aber
ohne Ansatz für neue Triebe. Energie, Produktion, Arbeitsplätze,
Wohlstand. Kein Ast. Nirgends.
In erster Linie werden nun Erika und Max Mustermann unter der
auto-aggressiven Abkehr von der Wertschöpfung leiden. Energie-,
wirtschafts- und arbeitspolitisch sind damit die Weichen gestellt für
eine neue Verelendung. Wenn zusätzlich Schlüsselindustrien, wie die
Autoindustrie dicht machen müssen, werden auch tausende Zulieferer
den Bach runter gehen. Wenn Kohle, Gas, Erdöl für energetisch
aufwändige Produktionsprozesse knapp und überteuert sind, werden
weder Solarstrom noch Windenergie die Lücken schließen können. Dann
schafft sich Deutschland als Exportnation innerhalb kurzer Zeit ab.
Das elitär denkende Deutschland in seiner polit-medialen Filterblase
scheint genau das zu wollen – vielleicht nicht ganz so abrupt. Man glaubte,
wenn es langsam ginge, würde es einer Transformation gleich zwar
Übergangsschwierigkeiten geben, aber keine schweren Einschnitte und
Katastrophen verursachen. Jedoch war es schon immer politisch
unvernünftig, keinen „Plan B“ parat zu haben. Das werden wir jetzt am
eigenen Leibe spüren. Gesellschaftlich wird es ungemütlich.
„Öl sparen,
statt Bohren“
Gestern konnte ich miterleben, wie Aktivisten bei einer nicht
genehmigten Straßenblockade in Berlin-Friedrichshain eine stark
befahrene Großkreuzung lahmlegten. In praller Sonne hatten sich
mehrere Dutzend Demonstranten auf der Fahrbahn niedergelassen und mit
einer Hand festgeklebt. Auf Spruchbannern war zu lesen: „Öl sparen,
statt Bohren“. Ein thematisch ziemlich eingeengter Fokus. Ein
freundlicher Demonstrant machte den Bogen weiter auf und erklärte mir
auf Nachfragen:
„Die letzten Regierungen haben 50 Jahre lang verpennt, eine
Energiewende und Wärmewende zu machen ... Jetzt werden die
Abhängigkeiten von einem totalitären Regime zu einem anderen totalitären
Regime umgeswitcht ... Die ganzen technischen Möglichkeiten, die es
gibt, mit Wärmepumpen, Photovoltaik, Windrädern und die ganzen
Erneuerbaren sind viel kostengünstiger ... Es gibt ganz viele
Speichermöglichkeiten und intelligente Netze. Es ist alles lösbar.
Die Wissenschaft bietet das seit Ewigkeiten an.“
Hätten wir früher auf diese Leute gehört, also schon vor 40 Jahren
mit dem Abbau unserer sicheren Energieversorgung begonnen, die
energie-fressende Groß-Industrie abgeschafft und ganz viele Growiane , Staudämme und Solarparks gebaut, dann wären wir
heute klüger und weiter. Wir hätten das Scheitern dieser Illusion
also schon hinter uns. Funktioniert hat das nämlich schon damals
nicht. Die Probleme mit der Technik sind heute zwar andere, vieles
ist optimiert, aber die zwingenden Notwendigkeiten und
Voraussetzungen für den Betrieb einer Exportnation sind mit den
„Erneuerbaren“ immer noch nicht erbracht: Zu wenig Effizienz, zu
geringe Speichermöglichkeiten, zu hoher Flächenverbrauch, zu geringe
Gesamtleistung. Das ist hinlänglich bekannt.
Zurück in eine
Zukunft ohne Wachstum
Für die Anhänger der Klimakirche kommt es wie gelegen: Deutschland
wird zum weltweit führenden Beispiel der konsequenten Abkehr von
fossilen Brennstoffen, zumindest schon mal unfreiwillig. Ein Traum
dieser Endzeit-Apologeten nimmt damit klare, destruktive Gestalt an.
Denn nach ihren Vorstellungen stehen wir kurz vor den Kipppunkten,
hinter denen es kein Zurück mehr gibt vom Klimakollaps, dem sicheren
Hitzetod, dem CO2-Fanal einer gierig-verschwenderischen Menschheit.
Man schaut auf die Klimaerwärmung wie auf ein schwarzes Loch, an
dessen „Ereignishorizont“ für den Betrachter zwar alles stillsteht,
aber dahinter der unumkehrbare Malstrom beginnt. Die Zeit scheint
indes stehengeblieben zu sein am Erkenntnishorizont dieser Menschen.
Deutschlands Beitrag zur Klimarettung kann im besten Fall knapp zwei
Prozent bedeuten. Das ist der Anteil des deutschen CO2-Ausstoßes und
damit am Klimawandel, wenn man annimmt, dass dieser allein vom
Menschen verursacht wird. Aber der Klima-Glaube ist ein fester. Mal
schauen, ob der den nächsten Winter übersteht.
Am Ende geht es den Aktivisten auf der Kreuzung in
Berlin-Friedrichshain und ihren Sympathisanten in der Politik gar
nicht um den Fortbestand Deutschlands als Industrienation. Ganz im
Gegenteil: Sie wollen zurück in eine Zukunft ohne Wachstum, Industrie
und Kapitalismus. Das ist eine weitverbreitete Heilslehre im
gebildeten, öko-sozialen Mittelstand. Man sieht sich als Elite der
Weltrettung und versteht die kommende Energiekrise als Chance, um den
ökologischen Wertewandel als Abkehr von westlich geprägten
Lebensstilen nun im Eiltempo zu inszenieren.
Greta, das Mädchen mit den Zöpfen und dem versteinerten Gesicht,
hatte uns vor wenigen Jahren zugerufen: „Wie könnt ihr es wagen!“
Gestützt auf die sogenannte „Wissenschaft“ von NGOs und die voll
aufgedrehten Lautsprecher der salutierenden Leitmedien verbreitete
sich ihr Endzeit-Aberglaube vom baldigen Hitzetod wie ein
Glaubensbekenntnis. Nun wird es zur Farce in seiner
realwirtschaftlichen Umkehr: Menschen werden erfrieren, weil sie ihre
Wohnungen nicht heizen können. Und Menschen werden ihre Arbeit
verlieren, werden hungern, werden verelenden. Sie werden dann mit
Recht rufen: „How dare you!“
Ihr
Fabian Nicolay
Herausgeber von Achgut.com
(siehe auch unter dem Menüpunkt "Neue Medien")